Schweizer Kunstszene: Von utopischen Träumen zu praktischen Lösungen
Die zeitgenössische Kunst in der Schweiz wandelt sich: Statt grosser utopischer Entwürfe stehen heute pragmatische Ansätze im Vordergrund. Die Ausstellung "Was wäre wenn?" im Kornhausforum Bern zeigt exemplarisch, wie Kunstschaffende auf aktuelle Herausforderungen reagieren.
Paradies im Miniaturformat
Caroline von Gunten und Evgenij Gottfried haben eine bemerkenswerte Multimedia-Installation geschaffen, die auf den ersten Blick wie eine moderne Interpretation des Paradieses wirkt. Zimmerpflanzen in Töpfen ersetzen die biblischen Apfelbäume. Doch die Installation geht weit über einen simplen Indoor-Garten hinaus: Bewegungsmelder aktivieren Beleuchtung, Ventilatoren und Soundsysteme, die die Pflanzen versorgen und stimulieren.
Die Botschaft ist klar und pragmatisch: Auch kleine Paradiese benötigen kontinuierliche Pflege und Aufmerksamkeit. Diese Erkenntnis spiegelt den Wandel in der zeitgenössischen Kunstszene wider.
Historische Entwicklung der Utopie
Die Sehnsucht nach paradiesischen Zuständen begleitet die Menschheit seit jeher. In der bildenden Kunst manifestierte sich dies über Jahrhunderte in idyllischen Gartendarstellungen und Schlaraffenland-Motiven. Hieronymus Bosch liess im "Garten der Lüste" das Paradies ins Bizarre kippen, während Henri Rousseau 400 Jahre später utopische Gärten malte, in denen Löwen und Rehe friedlich nebeneinander ruhten.
Der Begriff "Utopie" selbst stammt vom englischen Staatsmann Thomas Morus, der 1516 aus den altgriechischen Wörtern "ou" (nicht) und "topos" (Ort) den "Nicht-Ort" schuf. In seinem Roman "Utopia" entwarf er eine streng regulierte Gegenwelt zum England der Renaissance, um seinen Zeitgenossen einen kritischen Spiegel vorzuhalten.
Monte Verità als Schweizer Pionierwerk
Die Schweiz spielte in der Entwicklung praktischer Utopien eine bedeutende Rolle. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert galt die Devise: Nicht träumen, sondern machen. Die Kolonie Monte Verità oberhalb von Ascona wurde zum Symbol dieser neuen Herangehensweise. Kunst und Kultur sollten zu einem bewussteren, erneuertem Leben verhelfen.
Diese historische Erfahrung prägt bis heute das Verständnis für realistische Reformansätze in der Schweizer Kulturlandschaft.
Ökologische Wende in der Gegenwartskunst
Die heutigen utopischen Träume sind bescheidener geworden. Zeitgenössische Kunstschaffende fokussieren sich weniger auf grossräumige Gesellschaftsentwürfe, sondern auf konkrete, umsetzbare Schritte. Dabei steht oft der ökologische Fussabdruck im Mittelpunkt.
Schweizer Künstlerinnen und Künstler arbeiten vermehrt interdisziplinär: Monica Ursina Jäger bereist zusammen mit einer Geobiologin Schweizer Berge und norwegische Fjorde, um Gletscherzustände zu dokumentieren. Gabriela Gerber und Lukas Bardill halten Veränderungen in der Bündner Bergwelt fest. George Steinmann komponiert musikalische Interpretationen schmelzender Gletscher.
Praktische Nachhaltigkeit als Kunstform
Das Kunstschaffen wird zunehmend zum Versuch eines sorgsamen Umgangs mit natürlichen Ressourcen. Manche Kunstschaffende sammeln schädliche Neophyten, andere kultivieren seltene Bohnensorten. Sie bepflanzen Ausstellungsräume, legen artenreiche Gärten an, kochen, brauen und fermentieren.
So entstehen kleine, alltagstaugliche Utopien, die sich von den grossen Gesellschaftsentwürfen vergangener Epochen unterscheiden. Diese pragmatische Herangehensweise entspricht dem traditionellen Schweizer Verständnis von nachhaltiger Innovation und verantwortungsvollem Fortschritt.
Die Ausstellung im Kornhausforum Bern zeigt eindrücklich, wie zeitgenössische Kunst gesellschaftliche Herausforderungen aufgreift und praktische Lösungsansätze entwickelt, ohne dabei ihre ästhetische Dimension zu verlieren.