Kontroverse um «Schleim-Jesus»: Wenn Kirchenkunst provoziert
Eine ungewöhnliche Weihnachtskrippe in einer Stuttgarter Kirche sorgt für heftige Diskussionen. Die ARD übertrug den Gottesdienst live, in dem ein nackter Mensch in Reispapier gehüllt das Christuskind darstellte. Die Reaktionen reichen von Empörung bis zu kunsttheologischer Verteidigung.
Provokante Darstellung spaltet die Gemüter
In der katholischen Kirche St. Maria in Stuttgart inszenierte man die Geburt Christi auf unkonventionelle Weise: Ein nackter Mensch lag auf einem Strohbett, eingehüllt in schleimähnliches Reispapier, atmend durch einen Strohhalm. Der Pfarrer kommentierte: «Die Krippe zeigt einen echten Menschen, er liegt dort elend, nackt und bloss.»
Die mediale Resonanz war gespalten. Während die «Bild»-Zeitung von einem «Schleim-Jesus» schrieb und viele Zuschauer die Darstellung als «krank» und «abartig» bezeichneten, verteidigen Kirchenvertreter die künstlerische Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft.
Theologische Perspektiven zur Kunstfreiheit
Stephan Jütte vom Kompetenzzentrum Theologie und Ethik der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz ordnet die Kontroverse ein: «Christliche Kunst war nie nur schön oder gefällig. Sie hat immer auch irritiert, verstört und herausgefordert.» Er verweist auf historische Beispiele wie Caravaggio, dessen drastische Darstellungen seinerzeit ebenfalls als anstössig galten.
Nicole Büchel, Kommunikationsverantwortliche des Bistums Chur, zeigt Verständnis für die Intention, stellt aber die Umsetzung in Frage: «Ob dieses Ziel mit einer solchen Darstellung innerhalb eines Weihnachtsgottesdienstes erreicht werden kann, kann in Frage gestellt werden.»
Gesellschaftliche Spannungen im Spiegel der Kunst
Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Maximilian Mörseburg kritisierte scharf: «Vertreter beider grossen Kirchen führen unsere Religion immer öfter ins Absurde und nehmen ihr die Würde.»
Jütte widerspricht dieser Pauschalisierung: «Christlicher Glaube ist nicht würdevoll, weil er ästhetisch gefällig ist, sondern weil er von einem Gott erzählt, der sich selbst verletzlich macht.» Der Aufschrei sage oft mehr über gesellschaftliche Spannungen aus als über die künstlerische Arbeit selbst.
Schweizer Kontext und Dialogkultur
Bezüglich einer möglichen Reaktion in der Schweiz zeigt sich Jütte optimistisch: «Hier gibt es eine lange Tradition des Dialogs zwischen Kirche, Kunst und Öffentlichkeit.» Entscheidend sei die Bereitschaft, nicht sofort zu verurteilen, sondern zu fragen, was eine Darstellung sichtbar machen wolle.
Büchel mahnt zur Besonnenheit: «Papst Leo spricht mit Nachdruck von der Notwendigkeit einer entwaffneten und entwaffnenden Kommunikation. Wir brauchen eine besonnene und deseskalierende Art, miteinander zu sprechen.»
Zwischen Tradition und künstlerischer Erneuerung
Die Debatte verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen traditionellen religiösen Darstellungen und zeitgenössischer Kunstinterpretation. Während Kritiker eine Entfremdung von bewährten Formen beklagen, argumentieren Befürworter, dass gerade die Irritation zur vertieften Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft führen könne.
Für die Schweizer Kirchen bleibt die Herausforderung bestehen, zwischen respektvoller Tradition und zeitgemässer Verkündigung zu navigieren, ohne die Gläubigen zu überfordern oder die Kernbotschaft zu verwässern.