Viertagewoche in Belp: Bildungsexperiment oder Irrweg?
Die Berner Gemeinde Belp plant einen umstrittenen Schulversuch: Ab Sommer 2026 sollen Primarschüler nur noch vier Tage pro Woche zur Schule gehen, dafür aber täglich von acht bis 16:30 Uhr und mit drastisch reduzierten Ferienzeiten. Nur sechs statt 13 Wochen Ferien pro Jahr sieht das dänisch inspirierte Modell vor.
Zweifelhafte pädagogische Grundlage
Bildungsforscher Stephan Huber von der Johannes Kepler Universität Linz äussert sich skeptisch zum Belper Experiment. "Aus Sicht der empirischen Bildungsforschung ist die Viertagewoche nicht unbedingt das Modell der Wahl", erklärt der Universitätsprofessor gegenüber SRF News.
Die internationale Forschungslage zeige vielmehr, dass nicht die Anzahl Schultage entscheidend sei, sondern die Qualität der Unterrichtszeit. Entscheidend sei, dass "möglichst viel Unterrichtszeit verfügbar ist, die für die Kinder und Jugendlichen anregend und beziehungsorientiert gestaltet wird".
Ferienkürzung als fragwürdige Lösung
Während internationale Vergleichsstudien tatsächlich Leistungsrückgänge nach langen Ferienperioden dokumentieren, stellt sich die Frage nach der Verhältnismässigkeit. Österreich reagierte mit gezielten "Sommerschulen", die Schweiz bietet Freizeitprogramme an. Eine derart drastische Ferienkürzung von 13 auf sechs Wochen erscheint jedoch als überzogene Massnahme.
Huber betont: "Das Beste an Pausen ist immer, dass man danach Gegenteiliges zu dem macht, was man gerade gemacht hat." Kinder benötigen Erholungsphasen und ausserschulische Erfahrungen für ihre ganzheitliche Entwicklung.
Wirtschaftliche Interessen vor Kindeswohl?
Das Belper Modell orientiert sich explizit an berufstätigen Eltern und deren Betreuungsbedürfnissen. Diese Ausrichtung wirft grundsätzliche Fragen auf: Soll sich die Schule primär an wirtschaftlichen Erfordernissen oder am Bildungsauftrag orientieren?
Der Bildungsexperte plädiert für einen anderen Ansatz: "Ich würde bei einer anderen Tagesstruktur ansetzen." Statt längerer Präsenzzeiten empfiehlt er eine bessere Verzahnung von unterrichtlichen und ausserunterrichtlichen Angeboten sowie ganzheitliche Förderung durch abwechselnde intellektuelle, emotionale und motorische Aktivitäten.
Bewährte Strukturen nicht leichtfertig aufgeben
Die Pädagogische Hochschule Bern wird das Experiment wissenschaftlich begleiten, die Bildungsdirektion des Kantons Bern steht dahinter. Dennoch bleibt die Frage, ob bewährte Schulstrukturen ohne fundierte empirische Basis umgekrempelt werden sollten.
Hubers Fazit ist eindeutig: "Mit gutem, abwechslungsreichem Rhythmus alle Schülerinnen und Schüler in den unterschiedlichsten Potenzialen fördern" sollte das Motto sein. Dies erfordert jedoch keine radikale Umstellung auf vier Schultage, sondern eine durchdachte Optimierung bestehender Strukturen.
Das Belper Experiment mag innovativ erscheinen, birgt jedoch das Risiko, Kinder zu Versuchsobjekten gesellschaftlicher Veränderungen zu machen, ohne deren langfristige Auswirkungen zu kennen.