Nothilfe-Kinder: Zwischen Asylpolitik und Kindeswohl
Im Rückkehrzentrum Aarwangen leben 138 Menschen, darunter 53 Kinder und Jugendliche. Ein elfjähriger Junge erwacht durch Polizeilärm, eine Familie wird ausgeschafft. Diese Szenen prägen den Alltag von Kindern in der Nothilfe, einem System zwischen humanitärer Pflicht und migrationspolitischer Realität.
Iranische Familie in der Warteschleife
Familie Miyandar lebt seit eineinhalb Jahren in Aarwangen. Die Physiotherapeutin Firoozeh flüchtete vor über drei Jahren mit ihrer Familie aus dem Iran. Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt, die Behörden stuften die Fluchtgründe als nicht glaubhaft ein. Eine Rückkehr in den Iran lehnt die Familie ab: "Wir haben Angst, dass wir gefoltert oder sogar getötet werden."
Das Staatssekretariat für Migration bestätigt die Verschlechterung der Menschenrechtslage im Iran seit 2022. Dennoch vertritt das SEM die Position, eine Rückkehr sei grundsätzlich möglich und zumutbar. 2024 wurden 389 Asylgesuche von Iranern gestellt, die Schutzgewährungsquote lag bei 38,74 Prozent.
Nothilfe als Minimalsystem
Die Nothilfe soll minimal unterstützen, aber keine Anreize schaffen, in der Schweiz zu bleiben. Das bedeutet konkret: 7 bis 14 Franken täglich, Kollektivunterkünfte, striktes Arbeitsverbot. Für Jugendliche nach der obligatorischen Schule ist keine Lehre möglich.
Per Ende 2024 lebten 2088 Menschen in der Nothilfe, davon 449 Kinder und Jugendliche. Die meisten stammen aus Eritrea, dem Irak, dem Iran oder Sri Lanka. Viele befinden sich im Langzeitbezug, teilweise über drei Jahre.
Warnung vor psychischen Schäden
Eine Studie der Eidgenössischen Migrationskommission zeigt alarmierende Befunde: Durchschnittlich fünf Personen pro Zimmer, mangelnde Privatsphäre, soziale Isolation. Kinder erleben verstörende Ereignisse wie Gewalt, Polizeieinsätze und Suizidversuche. Viele zeigen Entwicklungsauffälligkeiten, Schlaf- und Angststörungen.
Nina Hössli von "Save The Children" warnt: "Besonders problematisch sind abgelegene und baufällige Unterkünfte. Es fehlt Ruhe zum Spielen, Lernen oder Schlafen." Gleichzeitig gebe es einen Reizentzug durch fehlendes geschultes Personal und mangelnde altersgerechte Förderung.
Politische Kontroverse um Lösungsansätze
FDP-Politiker Andreas Hegg verteidigt das System: "Wir schauen anständig zu diesen Personen. Aber schlussendlich müssen sie unser Land verlassen." Er lehnt Privatunterbringungen ab, da dies zur Integration führe, was nicht gewollt sei.
SP-Grossrätin Karin Berger-Sturm widerspricht: "Das Asylsystem wird nicht umgangen, wenn wir die Kinderrechte einhalten." Kinderrechte müssten vorrangig beachtet werden, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Zwischen Souveränität und Kindeswohl
Der Fall zeigt das Spannungsfeld zwischen migrationspolitischer Souveränität und humanitären Verpflichtungen. Die Schweiz muss ihre Asylpolitik durchsetzen, gleichzeitig aber verfassungsrechtlich garantierte Kinderrechte wahren. Eine SVP-Motion will die Frist für Härtefallgesuche von fünf auf zehn Jahre verlängern.
Familie Miyandar hofft weiter auf eine Zukunft in der Schweiz. Ihr Sohn besucht die Dorfschule, spielt Fussball mit Gleichaltrigen, erhält psychotherapeutische Begleitung. Doch die Ungewissheit bleibt: "Erst wenn ein Sicherheitsgefühl da ist, können Traumata wirklich behandelt werden."
Die Debatte um Nothilfe-Kinder verdeutlicht ein grundsätzliches Dilemma: Wie kann die Schweiz ihre migrationspolitischen Ziele durchsetzen, ohne dabei das Wohl von Kindern zu gefährden? Eine Lösung erfordert sowohl institutionelle Reformen als auch gesellschaftlichen Konsens über die Grenzen staatlicher Fürsorgepflicht.