ETH Zürich: Inklusive Wohnform verbessert Ingenieurausbildung
Die ETH Zürich geht neue Wege in der Ausbildung ihrer Ingenieurinnen und Ingenieure. In einer innovativen Wohngemeinschaft im Zürcher Seefeld leben seit September ETH-Studierende gemeinsam mit Menschen mit Querschnittlähmung. Das Pilotprojekt soll angehende Ingenieure für die praktischen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sensibilisieren.
Mechanistisches Denken als Herausforderung
Das Problem ist bekannt: Ingenieurinnen und Ingenieure neigen dazu, den Menschen und seine Rolle in der Gesellschaft zu mechanistisch zu betrachten. Sie lösen Probleme rein technisch, ohne die tatsächlichen Bedürfnisse der Betroffenen zu verstehen. Dies führt oft dazu, dass innovative Assistenzgeräte in der Praxis nicht die erwartete Akzeptanz finden.
Die inklusive ParaWG im Zürcher Seefeld bietet einen pragmatischen Lösungsansatz: ETH-Studierende erhalten die Möglichkeit, die Realität von Menschen mit Behinderung unmittelbar zu erleben und zu verstehen.
Bewährte Kooperation zwischen Institutionen
Das Projekt entstand aus einer Kooperation der ETH Zürich, dem Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) und der Universitätsklinik Balgrist. Das SPZ betreibt bereits mehrere sogenannte ParaWGs, in denen Menschen mit Querschnittlähmung ein Wohntraining absolvieren, um später selbstbestimmt leben zu können.
Dank der finanziellen Beteiligung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung konnte die 13-Zimmer-Clusterwohnung in einer städtischen Siedlung realisiert werden. Das Konzept verbindet das bewährte Wohntraining mit einem inklusiven Lebensmodell, bei dem gegenseitige Unterstützung im Zentrum steht.
Praktische Erfahrungen prägen das Bewusstsein
Gut zwei Monate nach dem Start wohnen fünf ETH-Studierende und zwei Rollstuhlfahrerinnen in der WG. Mittelfristig sollen es zehn Personen werden. "Eigentlich ist es eine ganz normale WG", sagt ETH-Studentin Amelie Grossmann, die das Masterprogramm Biomedical Engineering besucht. "Abgesehen davon, dass einige von uns im Rollstuhl sitzen."
Seit sie dort wohne, nehme sie Barrieren bewusster wahr, berichtet Grossmann. Diese Sensibilisierung ist genau das Ziel des Projekts.
Delia Guggenheim, Psychologiestudentin und leidenschaftliche Sportlerin, zog nach einem schweren Unfall im März als zweite Rollstuhlfahrerin in die WG. "Mich hat es überrascht, wie schwierig die Welt für Rollstuhlfahrer ist", sagt sie. Selbst bei rollstuhlgängigen Trams seien oft kleine Schwellen zu überwinden.
Nachhaltiger Ansatz für Innovation
Guggenheim ist vom Konzept überzeugt: "So fangen Veränderungen an. Wenn Nichtbetroffene früh für solche Themen sensibilisiert werden, dann können sie das später in ihrem jeweiligen Fachgebiet auch umsetzen und die Welt ein bisschen rollstuhlfreundlicher machen."
Die Forschungsabteilungen der Projektpartner entwickeln derzeit Konzepte, wie die Studierenden ihre Erfahrungen ins Studium und in konkrete Projekte einbringen können. Parallel wird nach Möglichkeiten gesucht, das Konzept zu skalieren und weiteren Studierenden zugänglich zu machen.
"Nachhaltige Innovation und Inklusion braucht mehr Realitätsbezug", betont ein Vertreter des RESC. Die Erfahrungen aus der inklusiven ParaWG werden die Studierenden ihr Leben lang begleiten und ihre Karriere positiv beeinflussen.
Das Pilotprojekt zeigt exemplarisch, wie bewährte schweizerische Institutionen durch pragmatische Kooperationen innovative Lösungen entwickeln können. Es verbindet technische Exzellenz mit sozialer Verantwortung und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit des Bildungsstandorts Schweiz.