Weltbank warnt: Standards benachteiligen Entwicklungsländer
Ein neuer Weltbank-Bericht zeigt auf, wie internationale Standards zur Handelshürde für ärmere Länder werden können, während Industrienationen wie die Schweiz davon profitieren. Die Studie verdeutlicht ein strukturelles Problem der globalisierten Wirtschaft.
Container-Revolution als Vorbild
Die Standardisierung von Schiffscontainern gilt als Paradebeispiel erfolgreicher internationaler Normen. Philip Grinsted, Mitautor des Weltentwicklungsberichts, erklärt: "Das Beladen eines Frachtschiffes kostete 6 Dollar pro Tonne, heute sind es noch 16 Cents, dank einheitlichen Standards." Diese Vereinheitlichung habe dem internationalen Handel mehr gebracht als alle Handelsabkommen der letzten 60 Jahre zusammen.
Schweizer Maschinenindustrie profitiert
Die Schweiz gehört zu den Gewinnern internationaler Standardisierung. "Die Schweizer Maschinenindustrie profitiert von internationalen Standards, wenn sie Komponenten aus dem Ausland bestellt, weil so die Anforderungen bekannt sind und der Handel erleichtert wird", betont Grinsted. Problematisch werden Standards erst, wenn jedes Land andere Vorgaben macht und Handelshemmnisse entstehen.
Das Spaghetti-Problem
Ein Beispiel verdeutlicht die Komplexität: Der 12 Zentimeter kleine Plüsch-Elefant "Djungelskog" von Ikea trägt Etiketten, die fast doppelt so lang sind wie das Spielzeug selbst. Grund sind unterschiedliche Textil-Regulierungen in verschiedenen EU-Ländern und zusätzliche Vorschriften für Grossbritannien nach dem Brexit.
Laut Internationalem Währungsfonds summieren sich diese "nicht-tarifären Handelshemmnisse" auf einen umgerechneten Zoll von 44 Prozent, was der europäischen Binnenwirtschaft schadet.
Pakistan als Beispiel für strukturelle Benachteiligung
Entwicklungsländer stehen vor grösseren Herausforderungen. Grinsted berichtet aus Pakistan: "Kleine und mittlere Unternehmen, die Medizinprodukte nach Europa verkaufen, müssen wegen einer neuen EU-Verordnung rund 200'000 Euro zusätzlich pro Jahr bezahlen." Für Unternehmen mit 10 bis 20 Mitarbeitenden sei dies eine riesige Belastung.
Anders als Industrienationen fehlen Entwicklungsländern oft Prüflabore oder geeignete Testgeräte, um neue Grenzwerte überhaupt messen zu können.
Unterrepräsentation in Standardisierungsgremien
Die strukturelle Benachteiligung zeigt sich in den Entscheidungsgremien: Länder mit niedrigen Einkommen sind nur in sieben Prozent der ISO-Ausschüsse vertreten, in denen neue Standards geschrieben werden. Länder mit hohem Einkommen hingegen in 84 Prozent.
Diese Schieflage birgt Risiken für die internationale Zusammenarbeit. Die Weltbank warnt vor einer Fragmentierung internationaler Standards, die den Handel zusätzlich erschweren würde.
Paradox: Entwicklungsländer würden am meisten profitieren
Weltbank-Daten belegen ein Paradox: Unternehmen, die weltweite Standards übernehmen, erzielen höhere Umsätze. Dieser Effekt ist bei Unternehmen aus Entwicklungsländern sogar grösser als in Industrienationen. Entwicklungsländer hätten also das grösste Interesse an internationalen Standards, sind aber strukturell benachteiligt bei deren Gestaltung.
Spagat zwischen Sicherheit und Handel
Die Herausforderung liegt im Ausgleich zwischen berechtigten Sicherheitsanforderungen und freiem Handel. Standards für sichere Medikamente oder pestizidfreie Lebensmittel haben ihre Berechtigung. Entscheidend sei aber, international einheitliche Regeln aufzustellen und Entwicklungsländern ausreichend Zeit für die Anpassung zu gewähren.
Als Lösungsansatz schlägt die Weltbank vor, Grenzwerte schrittweise anzupassen, bis die gewünschten Zielvorgaben erreicht werden. Dies würde den berechtigten Sicherheitsinteressen Rechnung tragen, ohne ärmere Länder vom Welthandel auszuschliessen.