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Bitcoin-Knappheit an Börsen? Experten warnen vor historischem Tief
Ein dramatischer Abfluss von Bitcoin von den Handelsplattformen führt zu historisch niedrigen Reserven. Dr. Andreas Weber von der Universität St. Gallen analysiert die Bedeutung dieser Entwicklung für den Schweizer Finanzplatz und warnt vor möglichen Marktauswirkungen.
ParLukas Huss
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Bitcoin-Handelsvolumen an Schweizer Kryptobörsen erreicht historisches Tief
Interview mit Dr. Andreas Weber, Kryptoökonomie-Experte der Universität St. Gallen
Frage: Herr Dr. Weber, wir beobachten derzeit massive Abflüsse von Bitcoin von den Handelsplattformen. Was bedeutet das konkret?
Dr. Weber: Die Situation ist in der Tat bemerkenswert. In den letzten zwei Wochen wurden etwa 114.000 Bitcoin im Wert von über 14 Milliarden Franken von den Börsen abgezogen. Die Gesamtreserven der Handelsplattformen sind auf ein historisches Tief von 2,83 Millionen Bitcoin gesunken - nach manchen Quellen sogar auf 2,45 Millionen. Das ist der niedrigste Stand seit sieben Jahren.
Frage: Wie ist diese Entwicklung einzuordnen?
Dr. Weber: Wir sehen hier eine klare Verhaltensänderung der Anleger. Sie transferieren ihre Bitcoin-Bestände von den Handelsplattformen auf private 'Cold Wallets', also offline gespeicherte Wallets. Das reduziert das direkt handelbare Angebot erheblich. Diese Entwicklung ist besonders für den Schweizer Finanzplatz relevant, der sich zunehmend als Krypto-Hub positioniert.
Frage: Was sind die Hauptgründe für diese massive Verlagerung?
Dr. Weber: Wir können vier zentrale Faktoren identifizieren:
1. Langfristige Anlagestrategie
Viele Investoren, sowohl private als auch institutionelle, bevorzugen die eigenständige Verwahrung ihrer Assets. Das entspricht auch der Schweizer Mentalität der Eigenverantwortung und Unabhängigkeit.
2. Regulatorische Unsicherheiten
Die Sorge vor strengeren Regulierungen oder möglichen Plattform-Insolvenzen treibt Anleger in die Eigenverwahrung. Hier zeigt sich der Vorteil der Schweizer Rechtssicherheit für Krypto-Assets.
3. Steigende Nachfrage und Renditeerwartungen
Der Bitcoin-Kurs hat neue Rekordmarken über 125.000 Dollar erreicht. Die Einführung von Bitcoin-Spot-ETFs an der Wall Street signalisiert eine zunehmende institutionelle Akzeptanz.
4. Institutioneller Trend
Mit Initiativen wie dem 'Genius Act' entwickelt sich ein positives regulatorisches Umfeld. Das motiviert große Akteure, ihre Positionen auszubauen statt zu reduzieren.
Frage: Welche Konsequenzen hat diese 'Knappheit' für den Markt?
Dr. Weber: Zunächst muss man verstehen: Es verschwinden keine Bitcoin, sie werden nur dem aktiven Handel entzogen. Das hat mehrere Auswirkungen:
- Die Liquidität für Sofortkäufe sinkt
- Potenzielle Preisvolatilität steigt
- Market-Making wird anspruchsvoller
Für den Schweizer Finanzplatz ergeben sich daraus interessante Perspektiven, etwa im Bereich der professionellen Verwahrung und des regulierten Handels.
Frage: Welche Risiken sehen Sie in dieser Entwicklung?
Dr. Weber: Man muss die Situation differenziert betrachten:
- Die Datenqualität variiert je nach Quelle erheblich
- Der Trend zur Eigenverwahrung ist nicht neu
- Eine Knappheit an den Börsen garantiert keine Preissteigerungen
Zudem müssen wir makroökonomische und geopolitische Faktoren berücksichtigen, die den Kryptomarkt beeinflussen können.
Frage: Was bedeutet das für neue Investoren?
Dr. Weber: Neue Marktteilnehmer sollten mehrere Aspekte beachten:
1. Marktzugang
Der Kauf größerer Bitcoin-Positionen könnte schwieriger und teurer werden. Hier bieten sich möglicherweise Schweizer Handelsplattformen mit ihrer hohen Liquidität als Alternative an.
2. Handelsstrategien
Anleger müssen Gebühren, Spreads und Liquidität genau analysieren. Die Schweizer Handelsinfrastruktur bietet hier oft Vorteile.
3. Verwahrungslösungen
Die Wahl zwischen Eigenverwahrung und professioneller Custody wird wichtiger. Die Schweiz verfügt hier über ausgezeichnete Anbieter.
Frage: Ihre Prognose für die kommenden Monate?
Dr. Weber: Die aktuelle Situation könnte sich noch verschärfen. Wir beobachten eine zunehmende Professionalisierung des Kryptomarktes, was für den Finanzplatz Schweiz eine Chance darstellt. Die Balance zwischen Innovation und Stabilität, für die die Schweiz bekannt ist, wird dabei zum entscheidenden Faktor.
Die reduzierten Bitcoin-Bestände an den Börsen könnten zu einer nachhaltigen Preisstabilisierung auf hohem Niveau führen. Allerdings rate ich zu einer vorsichtigen, diversifizierten Anlagestrategie. Die Schweizer Tugenden - Vorsicht, Qualität und Langfristigkeit - sind auch im Kryptomarkt wertvoll.
Abschließend möchte ich betonen: Die aktuelle Entwicklung bestätigt die Bedeutung solider Infrastruktur und klarer Regulierung, wie sie die Schweiz bietet. Das könnte unsere Position als führender Krypto-Standort weiter stärken.
Lukas Huss
Zürcher Journalist, berichtet seit 10 Jahren über die Schweizer öffentliche Politik, lokale Regierungsführung und Fragen der direkten Demokratie.